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Impuls zu Allerseelen

    Allerseelen ist auch ein Tag der Dankbarkeit, an dem ich mir klar werde, wie viel ich bestimmten Menschen verdanke, aber auch wie sehr sie mir fehlen. Es ist nicht verkehrt, sich für ein Gespräch mit einem verstorbenen Menschen Zeit und Ruhe zu nehmen, denn der Verstorbene ist da. Und manchmal kann ich ihn sprechen hören.  Auf alten Grabsteinen kann man manchmal solche Gesprächsbeiträge lesen, die die Verstorbenen uns sagen.

    „Ihr habt mich nicht verloren, ich bin euch nur vorausgegangen.“ Wer so sprechen kann, ist in großem Frieden verstorben. Denn er hatte ein Ziel für sein Leben. Und er ist fest davon überzeugt gewesen, dass Liebe über das Grab hinausreicht. Dieser Verstorbene erinnert uns daran, dass unser aller Leben dieses Ziel hat. Wenn wir uns am Grab eines Menschen versammeln, dann geht es nicht nur um Vergangenheit und Erinnerung. Nein, die Welt Gottes, der Himmel, ist stets gegenwärtig. Er ist eine Realität, die wir nicht sehen, die aber in der Liebe für uns Wirklichkeit ist. Wir werden uns wiedersehen, viel tiefer, intensiver, als dies je der Fall gewesen ist.

    Wir werden uns wieder sehen, nicht mehr belastet von Krankheit, Schuld und Tod. Der heilige Augustinus berichtet in seinen „Bekenntnissen“ vom Tod seiner Mutter Monika in Ostia vor den Toren Roms (Conf. 9,11). Er muss sie zurücklassen, dort in der Fremde begraben, bevor er wieder nach Nordafrika reist. Vor ihr sind die Worte überliefert: „Begrabt mich hier, aber denkt an mich, immer wenn ihr am Altare Gottes betet“.

    Ihr ging es nicht nur um eine liebevolle Erinnerung, sondern sie glaubte als Christin fest daran, dass Lebende und Verstorbene im Gebet, in Gott verbunden bleiben und keiner diese Gemeinschaft zerstören kann. Dieser heilige Augustinus hat uns einen entsprechenden Gedanken hinterlassen: Die wir geliebt und die uns sterben, sind nicht mehr an dem Ort, wo sie lebten und wirkten – aber sie sind überall, wo wir sind. In Gott sind wir verbunden, im Gebet entsteht Gemeinschaft mit ihnen.

    Wenn wir mit dem Verstorbenen reden, wird er uns vielleicht auch etwas sagen, was uns sehr nachdenklich machen kann: „Vertraue nicht auf langes Leben, Gesundheit, Jugend und irdisches Glück allein“. Aus der Perspektive der Ewigkeit wird vieles zweitrangig, was uns jetzt so wichtig scheint. Der Verstorbene wird uns vielleicht mahnen, uns rechtzeitig um ein Fundament zu bemühen, das uns trägt, wenn alles andere vergeht. Die heilige Teresia von Avila etwa hat es kurz und knapp so formuliert: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber, Gott allein bleibt derselbe. Wer Gott hat, hat alles, Gott allein genügt“. Damit redet sie nicht unsere irdischen Güter schlecht. Aber sie erinnert uns daran, dass eines Tages vielleicht ein Punkt unseres Lebens kommt, an dem uns nichts mehr trägt außer unser Glaube an ihn. An diesem Fundament, sagt an einer Stelle die Bibel, muss ich arbeiten, solange ich gesund und jung bin (vgl. z.B. Sir 6, 18; Weish 4,7). Es kann sein, dass ich den rechten Zeitpunkt verpasse. Jesus nennt diese Haltung Wachsamkeit für das Notwendige, und er spricht von der Kürze der Zeit, die ich nicht vertun darf.

    Der Verstorbene wird uns vielleicht an das Gute erinnern, das er durch uns erfahren hat und dafür danke sagen, so wie wir uns an das Gute erinnern. Was bleibt von uns? Die Bibel sagt einmal: Ihre Taten folgen ihnen nach (vgl. Offb. 14,13). Die Liebe, die wir verschenken, bleibt. Unser Tun hat Ewigkeitswert, nichts ist vergeblich. Wir nehmen alles in die Ewigkeit Gottes mit.

    Es lohnt sich, dass wir uns Zeit für die Verstorbenen nehmen. Es ist immer wieder ein großer Augenblick in der Heiligen Messe, wenn wir Gott alle Verstorbenen anempfehlen. Er möge ihrer gedenken, sich ihrer erinnern, denn wenn Gott sich ihrer erinnert, werden sie nicht sterben. Gemeint sind nicht nur unsere Toten, die wir kennen, an die wir uns erinnern. Gott kennt die Millionen und Abermillionen Menschen, die je gelebt haben. Keiner ist bei Gott verloren, aus einer Erinnerung gelöscht. Er kennt und liebt sie alle. Daher ist der Name des heutigen Tages sehr schön: Gedenken aller Seelen. Im Gebet vergessen wir niemanden.

    Heute erinnern sich viele eines Menschen und sprechen mit ihm: Ich danke dir, dass du mit mir gegangen bist, dass ich dich kennen durfte.

    Ein Dichter hat ein Gedicht an seinen verstorbenen Freund so beendet:
    „Wir danken dir, dass wir dich ein Stück deines Weges begleiten durften. Jetzt bist du uns vorausgegangen. Deine neue Gestalt ist uns nicht fassbar, und doch spüren wir, du bist uns näher gekommen. Als Licht, als Trost, als Kraft, als Friede“.

    So möge dieser Tag ein Tag des Glaubens und des Trostes sein. Eine Art Wegweiser und eine Art Rastplatz, der uns das Ziel zeigt, aber der uns auch innehalten lässt im Gespräch und im Nachdenken. Letztlich ein Tag der Dankbarkeit für die Menschen, ohne die ich nicht der oder die wäre, der oder die ich bin, und die alle auf ihre Art ein Geschenk Gottes waren.

    Quelle: Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Festgottesdienst zu Allerseelen 2018;
    https://bistummainz.de/organisation/bischof-kohlgraf/aktuell/predigten/